Freitag, Juni 04, 2010

Keinen Bock auf Arbeit

Auf roten Bürostühlen rollen die Ausstellungsbesucher(innen) an schmalen, meterlangen und sägerauen Tischbändern durch den abgedunkelten Kuppelsaal des Gustav-Lübcke-Museums in Hamm, nachdem sie zuvor auf ebenso schmalen, mehrmeterlangen schiefen Ebenen durch asketische Architektur die 2. Etage erschritten haben. Das alles ist nicht weiter anstrengend, hat aber deutlich einen stärkeren Charakter von Arbeit als bei anderen Bilder-Schauen. Und um Arbeit, um "Ware und Person", um "Fusionie" und um "Falsche Freiheit" geht es auch zentral in den dezidiert politischen Arbeiten des Berliner Zeichners Andreas Siekmann. So wie bei ihm Gelb zur dominanten (Filzstift-)Farbe Rot gehört, gesellt sich zum Konzept Arbeit das Lebenselixier Arbeitslosigkeit - und das hat folgerichtig die Farbe Blau und ist zumeist bewegt und eindringlich bewegend aquarelliert. Mehr braucht Andreas Siekmann nicht, um seine Sequenzen zu gestalten. Fehlt ihnen auch der verkniffene Agit-Prop-Charakter plakativer Polit-Botschaften, so sollen Themen und Aussagen seiner "Storyboards" doch klar und deutlich, unmissverständlich sein. Zur Kunst werden sie durch ihre vielschichtige zeichnerische Gestaltung und ihre inszenierte Utopie.


Andreas Siekmann
Ne travaillez jamais, Blatt 4
Aus: Gesellschaft mit beschränkter Haftung 1996-99
Filzstift auf Papier 21 x 29,7 cm (DIN A4)
MACBA Museu d'Art Contemporani de Barcelona
© VG Bild-Kunst Bonn 2010

Vor laufenden Kameras demonstrieren sieben Bluejeans im Talkshow-Rund vor einem beredten Moderator und eindeutig gestikulierendem Publikum für ihr Recht auf "Keinen Bock auf Arbeit", buchstabieren das ABM(aßnahme) der Kontrollgesellschaft neu zu "Anstatt Beschiss Maloche" und entrollen ihre grenzüberschreitend globale, englischsprachige Lohnforderung nach 1.500 (Euro ?! mtl.) steuerfrei für alle. Die real existierende Gesellschaft im bekannten Fernseh-Setting ist bis hinter die Kulissen unverwechselbar verständlich gezeichnet und lässt keinen Deutungsspielraum zu. Die Protagonisten des pop-ig gelb-rot inszenierten Events reagieren jeweils unmissverständlich, von Peinlich- und Ratlosigkeit links über Unverständnis und Befremden bis hin zu offener Wut und eindeutigem Vogelzeigen. Das Establishment macht aus seiner öffentlichen Meinung keinen Hehl, selbst auf die Gefahr hin, den Regieanweisungen aus der Kulisse zumindest dieses eine Mal nicht zu folgen. Denn was sich diese sieben leeren Hosen da auch leisten, erfordert nun wirklich den spontanen Widerspruch. Denn wenn ihnen allen auch das Fleisch in der Hose und der ganze Oberkörper fehlen, so ist doch die Botschaft ihrer Haltung unverkennbar - und die verstößt gegen jeden vorherrschenden Geschmack und alle guten Sitten. Und dabei ist Rot-Mannfrau doch wirklich liberal, eben, lässt jedem seine Freiheiten und seine eigene Meinung - aber was zu viel ist, ist zu viel. Treffen Selbst- und Fremdbild im öffentlichen Raum, auf offener Bühne, in Gegenwart der Medien aufeinander, ist auf jeden Fall das eigene Gesicht und der kollektive Schein zu wahren. Und das nicht nur beim raumgreifenden Thema prekärer Arbeitssituationen wie etwa illegaler Lohnarbeit, monopolistischer Unternehmenskulturen und ideologisch konkurrenzloser wirtschaftlicher Machtverhältnisse.
Die Gegenposition irritiert, ist aber nicht weniger verständlich. Nicht anwesende Träger blauer Hosen, ehemaliger Arbeitshosen, suggerieren Unangepasstheit, Jugend und das Klischee von Freiheit und Abenteuer, sind aber ohne Substanz, bilden konsumschwache oder (schlimmer noch) konsumunwillige Personengruppen, sind Geldsubjekte ohne Geld in einem urbanen Raum, der von ISO-Typen beherrscht wird, deren entindividualisierte Köpfe in schematisierten Körpern stecken, deren Seelen Piktogrammen gleichen. Dieser figurative Konstruktivismus lässt keine bürgerliche Individualität zu. Deutlich wird dies erst beim Abschreiten oder -rollen (s.o.) von Andreas Siekmanns Zeichnungs-Avenuen, die in parallelen und mehrwinklig kreuzenden Sichtachsen den musealen Schauraum kartographieren und dessen Wände erklimmen. Hunderte prall gefüllter Einzelblätter, alle in DIN A4-Querformat, alle in Rot, Gelb und Blau (schon in den 1960er Jahren fragte der amerikanische abstrakte Expressionist Barnett Newman "Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue"), in 14 thematisch angelegte Serien unterteilt, verknüpfen kreuzworträtselartig gezeichnete Argumentationsketten mit verschiedenen Leserichtungen, die wie Filmstreifen gestaltet sind und Siekmanns künstlerische Auseinandersetzung mit politischen, ökonomischen und städtischen Lebens- und Entscheidungsräumen thematisieren.


Andreas Siekmann
ABMachine, Blatt 11
Aus: Gesellschaft mit beschränkter Haftung 1996-99
Filzstift auf Papier 21 x 29,7 cm (DIN A4)
MACBA Museu d'Art Contemporani de Barcelona
© VG Bild-Kunst Bonn 2010

Andreas Siekmann ist der Zeichner des öffentlichen Stadtraums in einem globalisierten Wettbewerbsstaat, aber er ordnet sich auch ein als Fortsetzer und Vertreter linkspolitischer Kunstgeschichte so unterschiedlicher Maler wie Piet Mondrian und Fernand Léger. Mit ihnen verbindet sich sein Interesse an gesellschaftspolitischen Themen, vor allem aber ihre Nostalgie für ein gemeinsam ge- und erlebtes Kunst-Land. "Alle in Jeans Jobs wollen bald eine Perspektive", heißt es in Siekmanns Eigenkommentar zu seinen "Fremdfiguren"-Hosen Hanna Handy, Theo Tunix, Harry Habenichts oder Paula Prekär: "Nur was ist, wenn die Jeans keinen Job findet." Kein Fragezeichen, auch kein Ausruf. Simply full stop. Und an diesem Punkt wird die Sehnsucht zum Metier der Kunst, die blaue Jeans-Röhre zum reminiszenten Ubahn-Tunnel, ein bltzblanker Graffitiwaggon zum Identifikationsobjekt mit den künstlerischen Vorvätern und Idolen: Vor einer Welt-Tapete, deren Kunst-Kerne immer kleiner und deren Um-Welten immer komplexer, undurchdringlicher und unverständlicher werden, rollt zeichenhaft ein isolierter Monolith in das so gar nicht graffitihafte blaue Hosenbein. Keith Haring erscheint im New Yorker Ubahn-Schacht, seine Botschaften versprechen viel und sind doch schwer zu entziffern. Der Waggon nimmt Fahrt auf und wird gleich verschwunden sein. Was bleibt? Bluejeans. Punkt. In einem Interview mit Guillaume Paoli vom 20. November 1999 bekräftigen Andreas Siekmann und Alice Creischer: "Wir sind weder Animateure noch Interessenvertreter/innen". Ihre künstlerische Arbeit darf nicht verordnet, soll selbstbestimmt und selbst-bestimmend sein. Und so bündelt Siekmann gesellschaftliche Diskurse in seinen Zeichnungs-Sequenzen, zeigt dort ihre Auswirkungen, möglichen Reaktionen und Gegenreaktionen auf, bleibt zeichnerisch aber nicht an dieser Stelle stehen, sondern überschreitet die Darstellung des Faktischen und die Varianten der Möglichkeiten mit einem Gegenentwurf, seiner künstlerischen Vision, die er im Medium der Kunst erprobt: "Auf der Suche nach den Keimen des Möglichen", wie er und Alice Creischer es in einem weiteren Interview am 25. Oktober 1999 mit Klaus Ronneberger formuliert haben. An dieser Stelle, in ihrem visionären Charakter, teilt politische Kunst die Wesen- und Zweckbestimmung künstlerischen Schaffens generell … und dass Kunst nur Negation des Bestehenden sein kann, wissen wir doch alle spätestens seit Theodor W. Adornos Ästhetischer Theorie. Sie muss nur gezeichnet werden. Immer wieder. Immer neu. Immer gleich - erkennbar. Und das tut Andreas Siekmann, spätestens seit 1996.

Andreas Siekmann
Aus: Gesellschaft mit beschränkter Haftung /
From: Limited Liability Company, 1996-2006
bis 8. August 2010 im Gustav-Lübcke-Museum in Hamm/Westf.

Es erwarten Sie die Installation "Aus: Gesellschaft mit beschränkter Haftung" (1996-1999) aus dem MACBA Museu d'Art Contemporani de Barcelona und eine jüngere Parallelsequenz, "VideoKnow" (2002-2006), eine Leihgabe der Galerie Barbara Weiss Berlin.

Weitere Informationen hier
http://www.hamm.de/8500_7089.html