Mittwoch, Juni 16, 2010

4 Tonnen unendliche Leichtigkeit

Abraham David Christian
Interconnected Sculpture 2007/2009

Bronze 389 x 410 x 340 cm
Foto Hans-Christian Schink
Katalog S. 50/51

Raumgreifend aber nicht raumfüllend umschließt die Skulpturspirale 60 Kubikmeter Atmosphäre mit der Eleganz und Schwerelosigkeit eines Wasserstrudels oder Sternennebels. Das Bronzeband besteht aus der Addition gleicher Elemente, hat in seiner Gesamtheit keinen Anfang und kein Ende und suggeriert kontinuierliche Bewegung, eingefroren in einem Augenblick fragilen Ausgleichs. Dieser umschlossene Raum der Balance bildet einen Raum der Harmonie bei Verzicht auf symmetrische Ordnung und wird gerade dadurch zu einem Raum der Mitte im Sinne der Materialisierung eines eigentlich kaum fixierbaren Moments. Die Komposition von Raum und Zeit betont das Momenthafte auf Dauer und schreibt dem skulpturalen Objekt musikalische Qualitäten ein. Wir vernehmen die Musik der Sphären im Angesicht von vier Tonnen filigraner Bronze. Hierin besteht das Faszinosum eines Skulpturentyps des Zeichners und Bildhauers Abraham David Christian (geb. 1952), dessen monumentale Variante derzeit im Museum Küppersmühle Station macht und den zentralen Raum der Sonderausstellung einnimmt.

Der Künstler war bei der Ausstellungseröffnung am 10. Juni anwesend, er war für die zahlreichen Vernissage-Besucher(innen) aber nicht präsent. Er wurde von den vier Festrednern vorgestellt und ständig zitiert, trat selbst aber nicht neben sein Werk, weder erklärend noch dankend - der Dank ist ganz Sache des Publikums. Und dazu besteht auch aller Anlass, denn die 50 Exponate in den 7 Schau-Räumen der von Museumsdirektor Walter Smerling kuratierten Retrospektive markieren einen fulminanten Lebens-"Weg" (so auch der Titel der Ausstellung) eines Künstlers, der von globaler Expansion und tiefer Meditation gekennzeichnet ist. Hand aufs Herz: Wann haben Sie den Namen ADC zum ersten Mal gehört? Es ist gar kein Versäumnis, wenn dies erst vor wenigen Minuten war, aber ab jetzt sind Reisen in seine Welt(en) für Sie faszinierende Stationen multikultureller und überzeitlicher Kunst&Kultur-Geschichte. Machen Sie sich auf den "Weg": Nicht umsonst beherrscht das Kanji 道 die Titelseite des Ausstellungskatalogs. Es steht für kommunizierende Bedeutungsebenen, interconnected, die das Selbstverständnis von Abraham David Christian umgreifen: Der "Weg" als Straße bezeichnet die Route einer realen wie mentalen Reise, deren Fahrt als Mittel und Methode Kurs nimmt im eigenen wie universellen Lebens-Lauf der Dinge auf die moralischen wie künstlerischen Prinzipien von Gerechtigkeit und Wahrheit. Das und nicht weniger beanspruchen Person und Werk von ADC.

Der Künstler wuchs in den Niederlanden in einer kunstsinnigen, großbürgerlichen Kaufmannsfamilie auf, deren bevorzugtes Sonntagsvergnügen Museumsbesuche waren. Dort waren Museen gesellschaftliche Treffpunkte, während sie in Deutschland Orte des Rückzugs sind - und als solche für Abraham David Christian ebenfalls reizvolle Refugien. Inzwischen ist er ein internationaler Künstler, der heute seine Lebens- und Schaffensräume zwischen Düsseldorf, New York und dem japanischen Hayama verortet. Hier, in der Präfektur Kanagawa unweit der Sagamibucht zwischen der alten Minamoto-Shogunat-Stadt Kamakura und dem Hl. Berg Ogusu gelegen, haben seine Zeichnungen und Skulpturen ihre geistige und kulturelle Heimat. Hier lebt der Künstler als glücklicher Mensch, denn: "Es ist das Allerwichtigste im Leben, ein glücklicher Mensch zu sein." Welch einen "Weg" zu diesem Selbst er in den vergangenen 40 Jahren zurück gelegt hat, wird deutlich, wenn man zurückblickt auf Harald Szeemanns 5. Documenta 1972, auf der ADC, gerade einmal 19 Jahre alt, seine radikaldemokratische Kunstauffassung für eine direkte Demokratie durch Volksabstimmung mit den Fäusten gegen keinen geringeren als Joseph Beuys gestaltete - nach drei Runden stand Beuys als Sieger nach Punkten fest. Aber schon damals verkörperte er die strikte Trennung von Kunst und Künstlerpersönlichkeit, die als Gegenentwurf zum zeitgenössischen Künstlerstar bis heute seine beschriebenen Auftritte in ihrer randständigen und damit exzentrischen Position charakterisieren.


Abraham David Christian
Hayama_7

Gips 2006
Museum of Modern Art Tokyo
Katalog S. 12

So monumental wie "Interconnected Sculpture" sind auch die "7 Türme der Weisheit", die nur als kleine Gipsmodelle aus dem Atelier des Künstlers in Hayama gemeinsam auf ein Bild passen. In originaler Bronzegröße sind auch sie in der Küppersmühle auf- und ausgestellt, Seite an Seite mit den "Torri del Silenzio", den 7 "Türmen des Schweigens" aus den Jahren 2007/08. Bei aller Grandiosität, Einzigartigkeit und Eleganz verbreiten beide Serien eine geheimnisvolle Stille in ihrer figuralen Reduktion auf das Wesentliche. Jede einzelne Skulptur, ob aus Bronze, Gips oder Papier, verbirgt in der Wucht ihres großen Formats die Sinnlichkeit und gleichzeitige Zerbrechlichkeit, die jeder minimalistischen Kunst innewohnt, und Inhärenz ist auch das eigentliche Schaffensziel von Abraham David Christian: Gern hätte er es, wenn man das Äußere seiner Skulpturen vergäße, davon absähe, "um vorzudringen zu dem Kern, der nicht sichtbar ist". Diesen Wunsch hatte er bereits Ende der 1960er Jahre, als er seine skulpturalen Arbeiten mit dem Werkstoff Erde begann, einem Material, das Zerfall von Anfang an einkalkuliert. Weniger das endgültige Produkt interessiert ADC, mehr noch Kunst als Prozess - und hier insbesondere sein Interesse am Prozess des Scheiterns als Ausdruck des eigenen, persönlichen wie künstlerischen, Selbst: "Wir scheitern notwendig mit dem, was wir tun." Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Sprache seiner Kunst wie die Artikulation seiner Selbst die Sprache der Stille ist, verwandt und geschult an Wittgensteins Schweigen.

Form nimmt dieses Schweigen 2007 an unter der chinesischen Prämisse "Der Himmel ist rund, die Erde ist eckig" und manifestiert sich in sieben stufenförmig, aus 6-7 Hexaedern aufgebauten pagodenartigen Türmen, die in Erinnerung an frühgeschichtliche Bauformen gleichsam sakrale Stufen von erotischer Anmutung und leiser Sinnlichkeit bilden. Von hier ist es nur ein kleiner aber jetzt monumentaler Schritt zu den unmittelbar danach geschaffenen "7 Türmen der Weisheit", mit denen das Runde des Himmels nun endgültig die Eckigkeit der Erde überwindet. Wir stehen vor einer synthetischen Ästhetik, die das Versprechen eines Gemeinsamen und Verbindenden von Werk, Person und Wahrheit symbolträchtig als Kunst einlöst, Brücken schlagend von der Renaissancekunst (Donatello Michelangelo) zur Avantgarde des 20. Jahrhunderts (Giacometti, Brancusi, David Smith) im Angesicht primitiver Kunstobjekte aus afrikanischen und asiatischen Kulturen. Abraham David Christian hat in der Küppersmühle in Duisburg seinen ganz persönlichen Himmelshügel errichtet, er steht auf einem hoch aufragenden Götterberg globalisierter Kunst & Kultur.


ABRAHAM DAVID CHRISTIAN
THE WAY 道 DER WEG

Werkschau der Skulpturen und Zeichnungen
noch bis zum 29. August 2010 im MKM Duisburg
zu den eingeschränkten Öffnungszeiten
Mi 14-18 Uhr, Do 11-18 Uhr, Fr nach Vereinbarung, Sa, So und feiertags 11-18 Uhr

Erstmalig zeigt Abraham David Christian im Museum Küppersmühle "HAYAMA_7 : Türme der Weisheit", eine neue Gruppe monumentaler Bronzeskulpturen. Es erwarten Sie weitere rund 50 Exponate aus den Bereichen Zeichnung und Skulptur, die in sieben Schau-Räumen präsentiert werden. Neben der Ausstellung ist der Künstler mit einem eigenen Sammlungsraum im Museum vertreten, in dem weitere Zeichnungen und kleinformatige Skulpturen aus Papier zu sehen sind. Zur Ausstellung erscheint ein umfangreiches Katalogbuch bei Kerber Art (33 € an der Museumskasse).

Weitere Informationen hier
http://www.museum-kueppersmuehle.de/