Mittwoch, September 30, 2009

Fang Lijun: Sea + Sky


Fang Lijun
2005.6.23, 2005
230 x 180 cm, Öl auf Leinwand
Sammlung CP Foundation, Indonesien
mit freundlicher Genehmigung der Kunsthalle Bielefeld

Vor stahlblauem Himmel und zitronengelber Sonne, dezent gefiltert durch arglose Schäfchenwolken, entfaltet sich genau über die Bildmitte, von links nach rechts tanzend, der fröhlich-bunte Strom einer ausgelassenen Kinderschar wie in einem Bilderbuch. Das großformatige Ölgemälde ist Motiv des Ausstellungsplakats der Bielefelder Retrospektive mit Werken des 1963 geborenen chinesischen Künstlers Fang Lijun mit dem Titel "Sea and Sky". Was liegt also näher, als zu dem in seiner leuchtenden Farbigkeit beschriebenen "sky" der oberen Bildhälfte im gleichflächigen unteren Teil die dazugehörige "sea" zu assoziieren. Ja was? Vielleicht die Monochromie der Grisaille auf den unteren mehr als zwei bemalten Quadratmetern? Vielleicht die irritierende Unschärfe des Vordergrunds vor der Wellendünung im Mittelgrund? Erste Zweifel am titelgeleiteten Meeresrauschen stellen sich ein: Handelt es sich hier um eine makellose Täuschung? Gar nicht um Meer-Wasser, sondern um ein trügerisch geschlossenes Wolken-Meer? Ein Blick auf den Bildtitel, "2005.6.23", beantwortet die Fragen auch nicht - oder doch? Die Ausstellung zeigt zwei Arbeiten aus dem Jahr 2005, im Katalog nebeneinander abgebildet, die janusköpfig ein unendliches Wolkenmeer präsentieren, das abgebildete mit der freudig in den Wolken umherhüpfen Menschenschar, enthusiastisch und sich selbst ermutigend, aber offensichtlich ohne Bodenhaftung einem unsichtbaren Ziel entgegenstrebend. Gibt es überhaupt ein Ziel, wie sieht es aus und wo liegt es? Das Bildpendant aus dem gleichen Jahr vermittelt eine trügerische Illusion, zeigt einen vertikalen Wolken-Tunnel, der sich statt der zitronengelben Sonne zu einem Atompilz weitet und eine an gleicher Stelle positionierte, ausgelassen winkende und tanzende Kinderschar umhüllt, hier aber in der Bildmitte klappsymmetrisch gespiegelt, also kopfüber gestülpt wie weiland Baselitz: Der sonnenbeschienene Aufbruch nimmt im "Ohne Titel" des gleichen Jahres ein böses Ende. Es erinnert ebenso naturalistisch wie absurd surreal an Schlachtenbilder, das possierliche Bilderbuch mit seinen überbordenden Bilddetails gerät zur leer und öden, grausamen Apokalypse, die private Freiheitsgefühle und ein positives Lebensgefühl rücksichtslos in einen schrecklichen Tagtraum verwandelt. Gegenwart und Zukunft treten in einen konsekutiven Dialog, Oben verkehrt sich in Unten, Freude in Trostlosigkeit, Vitalität in Tod.

Fang Lijuns realistischer, figurativer Stil zeugt von chinesischer Akademie und europäischem "plein air", bedient sich den Mitteln der Werbeillustration, geschult an Hochglanzmagazinen und Fernsehspots, ihren künstlichen Farben und einer glatten, leicht pastosen Technik, dem souveränen Spiel von Licht und Schatten, das konzeptionell ausgeht von der Ambivalenz von Hell und Dunkel, von Farbigkeit und Monochromie, und daraus filigrane Bildstrukturen webt. Bekannt geworden ist er durch seine gähnenden oder lächelnden Glatzköpfe, die seit 1988 zunächst als Zufallsprodukt und ohne große Resonanz entstanden sind, wie Fang rebellisch und ironisch, oft frech und geschmacklos, bis sie spätestens seit der Biennale von Venedig 1993 als zeitgenössische Ikone rezipiert wurden, selbstbewusst ins Bildzentrum gerückt in ihrer orangefarbenen Einsamkeit voll Selbstironie und Spott über das politische System. Deshalb ersinnt schon 1991 der Kunstkritiker Li Xianting für Fang und seine Clique das Label "Zynischer Realismus", mit dem er so disparate Lebens- und Weltentwürfe etikettiert wie Dekonstruktion der Werte, Sinn der Sinnlosigkeit, ambivalente Kultur, innere Leere, individuelle Autarkie und daraus resultierende Reflexion über Realität. 1998 gesellen sich dann glatzköpfige Kinder hinzu, wie auf der hier vorgestellten Arbeit, Säuglinge in Bonbonfarben mit immer gleichen Augenfarben, kindlich unschuldige Helden und Heroinen, beispielgebende Massen. Das Grinsen von Fangs Glatzkopf interpretiert mehrdeutig und komplex das Lachen des weisen Buddhas: Er schwimmt gelassen, unter und über blauem Wasser, in innerer Freiheit, sucht nach neuen Perspektiven in humorvoll ausgeklügelten Bilderwelten und erzeugt in übergroßen Formaten starke visuelle Wirkung.

Jetzt ohne Zweifel handelt es sich hier um große, nicht nur großformatige, moralische weil gesellschaftskritische Malerei, deren hintergründiger Ernst Raum und Mensch als Leitmotive inszeniert, das Individuum im Zentrum als glatzköpfig-kollektiver Menschentyp, sein Antlitz nah und aus der Untersicht gezeichnet, in der ambivalenten Bewegung aus Verharren und Gehen vor weit oben angesiedeltem Horizont, ab 2000 ausgestattet mit der Luft-Perspektive eines blau-plakativen Himmelsfonds und des gelben Lichts einer überdimensionalen Sonnenaureole. Grelle Farben stehen immer für schönen Schein und signalisieren Bedrohtheit und Fragilität von Mensch und Welt. Wir teilen Fangs Panoramablick auf das Reich der Mitte - Kunst ist nie vom Leben völlig isoliert, auch Gleichheit und Demokratie sind ungewiss und vage, allein der Künstler ist unersetzlich - wer's denn glaubt: "Die Welt ist kleiner geworden. Überall verfügen wir über die gleichen Informationen. Aber ich bin kein internationaler Künstler, auch wenn dies verwunderlich klingt. Meine Arbeit ist der chinesischen Kultur und Geschichte verhaftet."

Fang Lijun. Sea and Sky
Kunsthalle Bielefeld bis 1. November 2009

Es erwarten Sie etwa 100 Werke, darunter zahlreiche mehrteilige und großformatige Gemälde, frühe Zeichnungen, wandfüllende Holzschnitte und neuere Skulpturen, sowie der in Bielefeld schon fast obligatorische, eigenproduzierte Begleitfilm mit einem Künstlerinterview.
Der Ausstellungskatalog kostet an der Museumskasse 19,80 EUR. Weitere Informationen hier: