Mittwoch, Oktober 28, 2009

Heuschober und Kathedralen

„Im neunzehnten Jahrhundert haben die Deutschen ihren Traum gemalt, und es ist allemal Gemüse daraus geworden. Die Franzosen brauchten nur Gemüse zu malen, und es war schon ein Traum.“ An welches deutsche „Zwergobst“ Theodor W. Adorno dabei auch immer gedacht haben mag, „die“ Franzosen sind am Ende des vorletzten Jahrhunderts tatsächlich ein Traum – wenn auch für die Akademie jahr(zehnt)elang ein Alptraum. Dabei waren ihre Traum-Motive diesen „Franzosen“ eigentlich eher gleichgültig, und wenn es denn kein „Gemüse“ war, wechselte einer von ihnen beinahe beliebig zwischen Heuschobern, Pappeln, Kathedralfassaden und dekorativen Seerosen – und das gleich in ganzen Bildreihen: Monet erfand seine Serielle Malerei. Ab 1877 entwickelt er am Gare Saint Lazare seine Vorliebe für Spiegelungen, er dupliziert seine Motive, arbeitet gleichzeitig an 5-6 Bildern und notiert so seine unterschiedlichen Sinneseindrücke und Empfindungen im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten als Aggregatzustände seiner Natur-Erfahrung. Er entscheidet sich bewusst – in dieser Reihenfolge - für ein bestimmtes Motiv, für einen bestimmten Standort und ein bestimmtes Bildformat. Insgesamt reduziert er seine Motive auf einen Natur-Ausschnitt und achtet besonders auf die Korrespondenzen der Farben und Effekte. Dabei geht es ihm vor allem um die Darstellung der jeweilig besonderen Lichtstimmung unter dem Gesichtspunkt der Ganzheit: Ausschlaggebend ist die gleichzeitige Anschauung, die Gesamtheit aller seiner Bilder einer Serie.



Claude Monet
Cathédrale de Rouen 1892
Öl auf Leinwand 100 x 65 cm
Musée Marmottan Monet Paris Inv.Nr. 5174


1892-94 entstehen in vier Serien 20 Gemälde von der Fassade der Kathedrale von Rouen. In den Untertiteln spricht Monet von blauer, grüner und brauner Harmonie, die Kunstwissenschaft hat sich auf graue, weiße, regenbogenfarbene und blaue Serien geeinigt. 1919 definiert Kasimir Malewitsch in seiner Abhandlung "Über die neuen Systeme in der Kunst" Malerei als unendliches Wachsen farbiger Flecken, deren kinetische Energie Bewegung erzeuge, und spricht – ganz im Sinne von Monets priesterlicher Selbstdarstellung („Meine Kunst lebt aus der Kraft des Glaubens, ist ein Akt der Liebe und der Demut“) - von dessen Kathedralen als Be(e)tflächen, auf denen die Malerei wachsen kann: „Wenn ein Künstler malt, dann muss er die Malerei so aussäen, dass der Gegenstand verschwindet, denn aus diesem erwächst die Malerei, die der Maler säen-sehen kann." Malewitsch spricht Monet das Verdienst zu, die gegenstandsorientierte Vollständigkeitsästhetik des 19. Jahrhunderts zugunsten eines seriellen, prozessualen Kunstverständnisses überwunden zu haben. Nicht mehr das Motiv ist bedeutsam, die äußere Natur, an ihre Stelle tritt die Auflösung der Formen, die konventionelle Wahrnehmungsschemata destabilisiert, und die subjektive Aussage des in Gestus, Farbe und Licht autonomen Kunst-Schöpfers: Bei Monet lebt sogar der Stein.



Claude Monet
Meule au soleil 1891
Öl auf Leinwand 60 x 100 cm
Kunsthaus Zürich Inv.Nr. 1969/7

„Getreideschober im Sonnenlicht“ ist die letzte von 18 Ansichten des gleichen Motivs, die zwischen 1889 und 1891, also noch vor den Kathedralen, entstehen. Von Bild zu Bild steigert Monet die Nahsicht auf seinen Gegenstand, bis er am Ende nur die Teilansicht eines Heuschobers präsentiert. Diese Radikalität im Prozess der Formfindung, die immer stärkere Reduktion des Gegenständlichen, stellt sich für Wassily Kandinsky beim Besuch der 1. Impressionisten-Ausstellung in Moskau 1896 als Vorstufe, wenn nicht gar Beginn, der abstrakten Kunst dar, die er doch eigentlich für sich selbst mit seinem „Ersten abstrakten Aquarell“ von 1911 (1913) reklamiert: "Vorher kannte ich nur die realistische Kunst. Und plötzlich zum ersten Mal sah ich ein Bild." Bei Kandinsky ist der Gegenstand schädlich für die Malerei und als Bildelement endgültig diskreditiert. Monets serielle Malerei öffnet vielfältig Fenster zu Neuer Kunst, zur Abstraktion, zu purer Form und reiner Malerei bis hin zur Monochromie, er ist genialer Anreger für völlig neue Kunstrichtungen im 20. Jahrhundert.

Monet
bis 28. Februar 2010 im Von der Heydt Museum Wuppertal


Es erwarten Sie rund 100 Werke Monets aus Privatsammlungen und Museen in aller Welt, von den Anfängen in der Schule von Barbizon über die großartige impressionistische Phase bis hin zu den riesigen Seerosenbildern, die einen umfassenden Blick auf das Malergenie erlauben. Die Ausstellung wird ermöglicht durch eine enge Kooperation mit dem Musée Marmottan Monet Paris und die bewährte Unterstützung der Dr. Werner Jackstädt-Stiftung Wuppertal. Der Ausstellungskatalog kostet an der Museumskasse 25 EUR.

Weitere Informationen hier
http://www.monet-ausstellung.de