Freitag, April 13, 2007

Neue Welt 6: Landschaften aus Licht & Luft


Sanford Robinson Gifford
Sunset on the Hudson, 1876
22,9 x 40,5 cm, Öl auf Leinwand
Wadsworth Atheneum, Hartford Mass.
mit freundlicher Genehmigung des Bucerius Kunst Forum Hamburg

Die untergehende Sonne verschwindet gerade hinter den steil abfallenden Felsformationen, die den Hudson an dieser Stelle am linken Bildrand begrenzen. Die Uferlinie mit den Wolken darüber, das Wasser des Flusses, die Segel der ruhig dahingleitenden Boote und auch das Brustgefieder des auf den Betrachter zuschwebenden Vogels in der unteren Bildmitte sind in leuchtendes Rosagold getaucht. Kein starker Kontrast stört die klaren Formen und die in sich ruhende Stimmung der Natur. Die kontemplative Atmosphäre vermittelt gelassene Zufriedenheit und Harmonie von Natur, Landschaft und deren Bewohnern. Sunset on the Hudson ist die erste von sieben Lichtstudien, die in den Jahren 1876-79 entstanden und deren Maler in seinen letzten Lebensjahren neben John Frederick Kensett zur führenden Persönlichkeit der 2. Generation der Hudson River School werden ließ. Erst mit diesem kleinen aber atmosphärisch dichten Gemälde taucht der Begriff "Hudson River School" zum ersten Male auf, unter dem später zwei Generationen amerikanischer Landschaftsmaler der vorausgegangenen 50 Jahre zusammengefasst wurden.

Sanford Robinson Gifford (1823-1880), dessen Werkverzeichnis ein Jahr nach seinem Tod nicht weniger als 739 bekannte Arbeiten verzeichnet, war ein großer Bewunderer der Naturstudien von Thomas Cole (s. Neue Welt 2) und fand durch ihn zur Landschaftsmalerei. Mit Albert Bierstadt (s. Neue Welt 5) bereiste er auf seiner 1. Europatour 1855-57 Italien; noch wichtiger waren aber seine teilweise persönlichen Begegnungen mit J.M.W. Turner, John Constable und John Ruskin in England. In der Auseinandersetzung mit deren Malerei und Kunsttheorie fand er in seinem letzten Lebensjahrzehnt zu einem persönlichen Stil, der seine Landschaften in lichter Luftigkeit erglühen lässt. Der seit der Mitte des 20. Jahrhunderts dafür gebräuchliche Begriff "Luminismus" als intensive künstlerische Beschäftigung mit den Wirkungen von Licht und Luft deutet auf eine Wandlung im Landschaftsverständnis der Hudson River School: Europa löst seit den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts die "nationalistische" Landschaftsmalerei der 1. Malergeneration ab und gewinnt mit den "impressionistischen" Tendenzen der Schulen von Barbizon in Frankreich und der Präraffaeliten in England zunehmend Einfluss auf den amerikanischen Kunstgeschmack der 2. Malergeneration.

Der Verzicht auf ablenkende, genrehafte Details und ein abstrahierender, mehr auf die Tiefe als auf das Panorama angelegter Bildraum, zusammen mit den Perzeptionsparametern der wirklichkeitsgetreuen Fotografie, lassen "luministische" Landschaftsgemälde entstehen. Während die 1. Malergeneration der Hudson River School sich thematisch in Richtung des amerikanischen Westens orientierte, entdeckt die 2. Malergeneration mit dem Luminismus die Ostküste neu und konzentriert sich stark auf die Wiedergabe von Ruhe als Stimmungsträger. Licht ist im Luminismus Programm. In Abgrenzung zur Romantik leuchtet Licht im Luminismus jedoch nicht atmosphärisch diffus, sondern erzeugt in der Bildfläche harte Umrisse und definiert sich so als Landschaft der Kontemplation. Damit konnten die Bildformate auch wieder kleiner werden und sich thematisch auf die zunehmende Verstädterung besonders an der Ostküste Amerikas konzentrieren. Der Mensch tritt jetzt in den Vordergrund und wird mehr und mehr zum dominanten Gegenstand der Kunst: Figurenmalerei löst Landschaftsmalerei in Amerika ab, das Portrait, zunächst noch in der Funktion repräsentativer Auftragsbilder des neu entstandenen amerikanischen Geldadels der Industriebarone am Ende des 19. Jahrhunderts, wird zum vorherrschenden Genre dieses neuen "Goldenen Zeitalters" nach dem amerikanischen Bürgerkrieg, deutet aber schon an der Schwelle zum 20. Jahrhundert auf seine sozial- und kunstkritischen Aspekte voraus, die dann bis zur Jahrhundertmitte etabliert sein werden.

Der 2. Teil der dreijährigen Ausstellungsreihe "150 Jahre amerikanische Kunst: 1800-1950" des Bucerius Kunst Forums in Hamburg lautet denn auch folgerichtig "High Society: Amerikanische Portraits des Gilded Age" (31.5.-31.8.2008). Artus freut sich schon heute, Ihnen in einem Jahr goldbetresst und hintergründig die Bildnisse der amerikanischen Elite vorstellen zu dürfen. – An dieser Stelle heißt es jetzt "Themawechsel": Lassen Sie sich in der nächsten Woche überraschen!

Sonntag, April 01, 2007

Neue Welt 5: Ein Solinger im Wilden Westen

Albert Bierstadt
In the Mountains, 1867
91,9 x 127,6 cm, Öl auf Leinwand
Wadsworth Atheneum, Hartford Mass.

mit freundlicher Genehmigung des Bucerius Kunst Forum Hamburg

Dieses Bild wie auch sein Titel sind untypisch für den in Solingen geborenen amerikanischen Landschaftsmaler Albert Bierstadt (1830–1902). In the Yosemite Valley, Among the Sierra Nevada Mountains oder The Hetch-Hetchy Valley sind eigentlich die typischen, geografisch genauen Titel seiner Western-Bilder, und typische Vordergrund-Details sind eigentlich seine possierlichen Entenfamilien, stattlichen Hirschrudel oder markante Rückenansichten von Indianern bei Sonnenuntergang. All dies fehlt hier. Statt dessen Landschaft pur: Vor einer imposanten Bergkulisse breitet sich ein ruhiger, silbrig glänzender See aus, der im rechten Bildteil von urwüchsigen Laubbäumen, zerklüfteten Felsbrocken und krautigem Ufergras begrenzt wird. Ein entfernter Wasserfall in der unteren Bildmitte markiert das dem Betrachter gegenüber liegende Steilufer, über dem sich unter einem vielgestaltigen, drohenden Wolkenhimmel das zentrale, schneebedeckte Bergmassiv auftut, das stark an Caspar David Friedrichs Watzmann von 1824/25 erinnert. Überhaupt lässt Bierstadts Bergwelt von 1867 eher an die Schweizer Alpen denken als an eine typische Landschaft im Yosemite Valley, das erst durch ihn populär wurde. Und tatsächlich ist bislang unklar, ob Bierstadt In the Mountains noch in Amerika malte oder schon in Europa, das er ab Juni 1867 für zwei Jahre bereiste. Unbezweifelbar handelt es sich bei dem Bergabhang im linken Bildteil aber um den El Capitan in Yosemite, ansonsten ist die Landschaft aus verschiedenen Bildquellen zusammengesetzt und kann so als Atelierbild auch in England entstanden sein, wo Queen Victoria und der Prince of Wales Bierstadt 1868 eine Audienz gewährten und er seine Ausstellungstournee durch Europa begann. Es handelt sich also wieder um eine Kompositlandschaft wie bei Frederick Churchs Niagarabildern (s. Neue Welt 4). Beide Maler haben mit ihren typischen Sujets der Donnernden Wasser bzw. des Wilden Westens persönliche Themen gefunden, die, aus anspornender Rivalität entstanden, von ihren Sammlern der Öffentlichkeit als patriotische Ergänzung präsentiert werden.

Alfred Bierstadt kam bereits als Zweijähriger mit seiner Familie nach Amerika, war malender Autodidakt und stark von der besonders bei den Bühnenbildern der Theaterproduktionen immer populärer werdenden Daguerreotypie beeinflusst. Sein lebenslanges Interesse für Fotografie hat eine erstaunliche Parallele zu den späteren Arbeiten von Ansel Adams, der in Bierstadts Todesjahr geboren wurde (1902-84). Adams hat das Bild vom amerikanischen Westen stärker geprägt als jeder andere Fotograf. Seit seinem Besuch des Yosemite-Nationalparks widmete er sich fast ausschließlich der Natur- und speziell der Landschaftsfotografie und produzierte seine ersten Aufnahmen im damals üblichen piktorialistischen Stil, der durch eine sorgfältige Wahl des Ausschnitts, fließende Übergänge, Vorliebe für Nacht- und Nebelszenen sowie künstlerische Sujets (Landschaften, Porträts, Akte) gekennzeichnet ist. Mit seiner Entwicklung der sog. Zonentechnik und den so im Labor streng ausgearbeiteten Schwarzweißfotografien etablierte er seinen Ruf als herausragender Foto-Künstler ebenso wie Bierstadt als Maler zu seiner Zeit in der amerikanischen Landschaftsmalerei.
1853 kommt Bierstadt zum ersten Mal nach Europa zurück, um an der Düsseldorfer Kunstakademie zu studieren. Dort trifft er u.a. den fast gleichaltrigen Oswald Achenbach (1827-1905) und dessen Bruder Andreas (1815-1910), der auf Vermittlung des amerikanischen Malers Emanuel Leutze (1816-68) – mit dem die Brüder Achenbach zwei Jahre zuvor in Düsseldorf dessen Gemälde Washington Crossing the Delaware vollendet und in die USA transportiert hatten – in diesem Jahr Ehrenmitglied in der Pennsylvania Academy of Fine Arts wird. Diese Freundschaft und seine Reisen mit ihnen in die Alpenländer haben weit reichenden Einfluss auf Bierstadts künstlerische Biografie und legen das Fundament für seinen späteren Ruf – in Amerika wie in Europa – als führender Maler von Landschaften des amerikanischen Westens. Nach seiner Rückkehr hatte er sich im April 1859 einer Expedition der amerikanischen Regierung nach Colorado und Wyoming angeschlossen und dort die spektakuläre Szenerie der Rocky Mountains als vergleichbar den Berner Alpen empfunden, die er für die schönsten Bergketten Europas - wenn nicht der ganzen Welt - hielt.
Unter dem Einfluss der Düsseldorfer Malerschule erwarb sich Bierstadt die künstlerische Expertise für "das A und O der Landschaft", das nach einem Bonmot des Düsseldorfer Malers Julius Hübner von 1869 auch der großen Retrospektive der Werke beider Achenbachs in der Kunsthalle Düsseldorf 1997 den Titel gab. Bierstadt inszenierte "das A und O der Landschaft" als amerikanisches Sujet des Wilden Westens. Im Abstand von einhundert Jahren wird die Landschaft dieses amerikanischen Westens zweimal dargestellt, malend von Bierstadt und fotografisch von Adams, beide Male auf innovativen künstlerischen Wegen mit den aktuellen Kunst-Mitteln der jeweiligen Zeit.

Bis zum Bürgerkrieg (1861-65) blieb der amerikanische Westen Manifest Destiny, Perspektive des Glaubens an den göttlichen Auftrag zur Expansion, zur Eroberung (des Landes) wie zum Aufstieg (in der Gesellschaft). Der Westen und seine Bewohner sind vor-geschichtlich, un-zivilisiert und un-kultiviert. Diese paradiesische Wildheit konnte in ihren Qualitäten von Reinheit und Unberührtheit nur im Medium der Kunst über-leben. Der von Osten kommende, weiße American Dream war gerade im Begriff, mit göttlichem Sendungsbewusstsein die Reservate ursprünglicher Landschaft zu zivilisieren. Der Zug gen Westen wandelte Natur- in Kultur-Landschaften und Natur-Schätze in Handels-Güter. Albert Bierstadt malt den Wilden Westen, noch intakt im Angesicht des Pioniergeistes, in heroischen Dimensionen und stellt diese Bilder öffentlich zur Schau: die Landschaft und die Menschen darin immer ungezähmt, manchmal bedroht von Naturgewalten, niemals umzingelt von Zivilisation. Der Einfluss der Siedler, der weißen Gotteskrieger, zeigt noch keine Wirkung.

Eigentümlich verwandt ist diese Geisteshaltung den führenden Literaten der Zeit: 1855, gut zehn Jahre vor Bierstadts In the Mountains, beginnt die literarische Moderne zweistimmig in Amerika mit er Veröffentlichung von Henry Wadsworth Longfellows Epos The Song of Hiawatha und Walt Whitmans lyrische Rhapsodie Leaves of Grass. Longfellow leiht der indianischen Kultur seine Stimme und bewahrt so ihre Legenden und Mythen, der um zehn Jahre jüngere Whitman stimmt selbstbewusst den Lobgesang des Amerikanischen Erfolg-Traums an, wenn er schlicht behauptet "The United States are essentially the greatest poem". Diese erste Sicht des American Dream auf die Natur ist noch unschuldig, ebenso wie später die zweite Sicht des American Dream auf den Menschen zunächst egalitär und demokratisch deren Weg from rags to riches, vom Tellerwäscher zum Millionär, prophezeit, bevor sie, Land wie Mensch und Gesellschaft, der Sinclairsche Jungle verschlingen wird.

PS: Wegen der Oster-Pause erscheint der sechste und letzte Teil von "Neue Welt" erst am übernächsten Freitag, dem 13. (April 2007).