Samstag, März 24, 2007

Neue Welt 4: Niagara – Kunst und Wissenschaft

Frederick Edwin Church
Niagara Falls, 1856
30,4 x 44,8 cm, Bleistift und Öl auf Leinwand
Wadsworth Atheneum, Hartford Mass.
mit freundlicher Genehmigung des Bucerius Kunst Forum Hamburg

Die hufeisenförmig hinabstürzenden "donnernden Wasser" bilden die größten Wasserfälle Nordamerikas. Dies bezieht sich nicht auf die Höhe der Kaskaden, denn das sind nur 50 Meter, sondern auf die Tatsache, dass diese Naturgewalt seit mindestens 12.000 Jahren pro Sekunde zwei Millionen Liter Wasser dem indianischen Donnergott opfert. Die Niagarafälle versinnbildlichen eine unkontrollierbare, mystische Natur, die von den Malern der Hudson River School zum Symbol für die Kraft und Energie der Neuen Welt stilisiert wurde. Frederick Edwin Church (1826-1900) stellt das Schauspiel in seinem 1856 entstandenen Gemälde aus der traditionellen Perspektive der Betrachter unterhalb der Fälle dar. In diesem Jahr hatte er den Ort bereits drei Mal besucht und zu allen Jahreszeiten den vielgestaltigen Regenbogen, das Tor zwischen Leben und Tod in der Glaubenswelt der amerikanischen Ureinwohner, in zahlreichen Ölstudien und Zeichnungen vor Ort skizziert. Unter dem Regenbogen gehen Himmel und Wasser als bildbeherrschende Elemente eine Verbindung ein, die von den Veränderungen des Lichts bestimmt wird. Beide trennt in der oberen Bildhorizontalen ein schmaler Streifen unberührter Natur, hinter der am gegenüber liegenden Ufer die fernen drei kleinen Häuser, erste Anzeichen noch zaghafter Zivilisation, fast vollständig verschwinden. Noch ist niemand zu sehen von den Tausenden Touristen, die nach der Eröffnung des Eriekanals 1825 in stetig steigender Zahl aus den südlichen Ballungsräumen dem einmaligen Naturschauspiel in beinahe religiöser Ereiferung zuströmen. Aus den Siedlern der Landnahme sind jetzt urbane Pilger geworden, die das inzwischen komfortablere Reisen zu schätzen gelernt haben, das Voraussetzung für Massentourismus ist. Niagara Falls aber ist noch eine einzige Hymne auf die ungezügelte Kraft, die Größe und Erhabenheit des stürzenden Wassers, dem der Maler als zentralem Bildthema seine ganze Aufmerksamkeit schenkt.

Ein Jahr später wird Church mit seinem letzten Niagara-Gemälde von stattlichen Ausmaßen (108 x 230 cm) seinen internationalen Ruhm begründen und selbst bei Turner und John Ruskin im fernen England Anerkennung finden: Diesmal gestaltet er das Hufeisen der Fälle vom westlichen Rand aus in erhöhter Perspektive und lässt den Betrachter vogelgleich und in perfektem Illusionismus über dem Abgrund der Fälle schweben. Innovative Bildfindung und technische Brillanz dieser Arbeit spiegeln auch die imperialen Ambitionen eines aufstrebenden, selbstständigen und selbstbewussten Amerika und können mit Fug und Recht als patriotisches Manifest interpretiert werden. Generalbass dieser nationalen Untertöne ist jedoch nicht länger die Beherrschung der amerikanischen Wildnis, wie sie Thomas Cole und die 1. Malergeneration der Hudson River School zelebriert hatte, sondern das Selbstbewusstsein, in der Kunst international auf Augenhöhe mit den aktuellen Wissenschaften im Hinblick auf die Darstellung und Interpretation der Natur zu sein. Landschaftsmalerei wird im Austausch zwischen den angesehensten Vertretern beider Fachrichtungen Kompendium der Naturwissenschaften: Die Niagarafälle sind die am häufigsten gemalten amerikanischen Naturwunder in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, weit vor Grand Canyon und Yosemite, die Geologie deren wichtigste Wissenschaft.

Frederick Edwin Church kam in Hartford, jenem Ort, dessen zentrales Museum heute seine Arbeiten dank des weitsichtigen Mäzenatentums von Daniel Wadsworth und Elizabeth Hart Jarvis Colt bewahrt, als Sohn eines erfolgreichen Geschäftsmanns zur Welt. Durch Vermittlung jenes Wadsworth, einem Nachbarn der Eltern, wurde Church 1844 für zwei Jahre Schüler von Thomas Cole und durch ihn und ihre gemeinsame Liebe zur Landschaft zum herausragenden Vertreter der 2. Malergeneration der Hudson River School - aber später auch Berater jener Elizabeth Hart Jarvis, die als Mrs. Samuel Colt (und Erbin des ersten amerikanischen Rüstungsimperiums des 19. Jahrhunderts) zur eifrigsten und kapitalkräftigsten Kunstsammlerin Hartfords wurde und mit seiner Unterstützung eine der angesehensten privaten Gemäldegalerien Amerikas stiftete. Dieser Schulterschluss von Kunst und Kommerz ist schon früh vorbildhaft für Amerika und zeichnet den Unternehmergeist des Malers Church aus, der instinktsicher die Zeichen des Fortschritts erkennt und die Bedeutung der Naturwissenschaften auch für die Wertschätzung und Qualität moderner Kunst.

In diesem Geist macht er Bekanntschaft mit einem der einflussreichsten Wissenschaftler seiner Zeit, Alexander von Humboldt. Angeregt durch dessen Werk Kosmos reiste er auf Humboldts Spuren ab 1853 als erster amerikanischer Maler mehrfach nach Südamerika und fertigte, dessen ausdrücklichen Rat folgend, Ölskizzen von Landschaften sowie geologischen und botanischen Details vor Ort an, die er dann zuhause zu monumentalen Atelierbildern von bis zu sechs Quadratmetern zusammenfügte. Diese Kompositlandschaften sind wissenschaftlich exakte, aber versatzstückhaft komponierte Darstellungen der Natur und stets auf dramatische Wirkung bedacht. Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von Humboldt (1769-1859) hatte zwischen 1799 und 1804 drei amerikanische Forschungsreisen unternommen und nach Südamerika, Kuba und Mexiko zum Abschluss seiner großen Amerika-Expeditionen auch die Vereinigten Staaten besucht. Dort war er u.a. drei Wochen Gast des amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson in Washington und Philadelphia. Als Forscher und Wissenschaftler genossen seine Erkenntnisse bereits höchstes Ansehen, die er später in seiner fünfbändigen persönlichen und wissenschaftlichen Lebenssumme Kosmos (1845-62) zusammenfasste.

Dieses sofort populäre, weit verbreitete Werk hatte entscheidenden Einfluss auf Frederick Church. Von Humboldt übernahm er in seiner Malerei das Bestreben um wissenschaftlich beschreibbare, vor allem botanisch und geologisch korrekte Darstellungen von Landschaft und Natur, von räumlich weit entfernten und persönlich nicht bekannten Malerkollegen, Caspar David Friedrich (1774-1840) und der Dresdner Schule des frühen 19. Jahrhunderts, die Verknüpfung spiritueller Inhalte mit der romantischen Landschaftsmalerei, die Friedrich mit seinem Tetschener Altar 1807/08 begründet hatte. Der Humboldtsche Forschergeist des amerikanischen Malers Church und seine an spezifisch deutscher Romantik geschulte pantheistische Naturauffassung überwinden die an historisierenden Landschaften interessierten neuenglischen Konventionen auch eines Thomas Cole. Die Niagara-Gemälde von Frederick Church sind der Beginn seiner malenden Verknüpfung von Kunst und Wissenschaft, die mit seinen großartigen Ansichten der Anden, Ekuadors und von Jamaika später ihre künstlerische Vollendung findet, bevor der amerikanische Bürgerkrieg den Blick nach 1865 auch hier in andere Richtungen lenkt.

Samstag, März 17, 2007

Neue Welt 3: Ein Amerikaner in Taormina

Thomas Cole
Mount Etna from Taormina, 1843
199,7 x 306,4 cm, Öl auf Leinwand
Wadsworth Atheneum, Hartford Mass.
mit freundlicher Genehmigung des Bucerius Kunst Forum Hamburg

Jener Thomas Cole, der als Maler der amerikanischen Wildnis (s. Neue Welt 2) zum eigentlichen Begründer der Hudson River School wurde, entdeckte auf zwei Europareisen (1829-32 und 1841-42) seine Liebe zur italienischen Landschaft und Geschichte. Dabei war es eigentlich eine Rückkehr zu seinen Ursprüngen, denn Cole wurde 1801 in Lancashire (England) geboren, wanderte als Kind in den Krisenzeiten nach den Napoleonischen Kriegen mit seiner Familie nach Ohio aus und starb als anerkannter Maler mit nur 47 Jahren 1848 in Catskill (New York). Die Kaatershill Falls, gerade einmal zwanzig Kilometer westlich seines späteren Wohnorts, malte er zum ersten Mal 1825, zu Beginn seiner Malerkarriere. Sie standen im Ruf des größten Naturwunders im Nordosten der Vereinigten Staaten und waren touristisch schon durch die Eröffnung des Catshill Mountain House Hotels im Jahr zuvor erschlossen. Die doppelstufigen Wasserfälle stellten eine romantische Version der amerikanischen Wildnis dar und standen in nichts den legendären Niagarafällen nach, die wenig später Sinnbild amerikanischer Naturgewalten werden sollten.

Das Monumentalgemälde Mount Etna from Taormina entstand 1843, und Thomas Cole stellte es erst fünf Tage vor Eröffnung der Atheneum-Ausstellung am 18. Dezember 1843 in den Räumen der National Academy of Design in New York fertig. Es ist das dritte von sechs Ätna-Bildern, die Cole nach Rückkehr von seiner zweiten und letzten Europareise malte. Er war von London aus mit dem englischen Maler Samuel J. Ainsley über Paris, die Schweiz und Rom nach Sizilien gereist, dessen in Ruinen liegende griechische und römische Altertümer ihn besonders faszinierten. Den Ätna als Manifestation des Göttlichen entwickelte er zum Symbol ewiger Naturlandschaften und platziert ihn hier, schneebedeckt und mit respektabler Rauchfahne über dem Kratermund, in der erhabenen Einsamkeit des rechten Bildhintergrundes. Das Licht der über der Bucht von Naxos untergehenden Sonne, die auch heute noch das moderne Touristenreservat Giardini Naxos bescheint, führt den Blick des Betrachters, ausgehend von einer bukolischen Mönchsfigur im Vordergrund, vorbei an einem mächtigen Säulensockel durch zwei Ruinenbögen und eine Fassadenlücke des antiken Theaters über Meeresbucht und sanft ansteigender Ebene hinauf zum Vulkankegel, den Thomas Cole und Samuel Ainsley 1842 selbst erklommen und rauschhaft erlebt hatten. Die arkadische Landschaft steht in antikisierendem Kontrast zur amerikanischen Wildnis, liefert aber gerade so die Insignien der Erhabenheit, die Cole und seine Malerfreunde der Hudson River School auch zum Kennzeichen amerikanischer Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts entwickeln wollten.

Die künstlerische Ausbeute amerikanischer Maler jenes Jahrhunderts in den Ruinen der antiken Kulturen Europas - und hier insbesondere in Italien von Rom ab südwärts – übertrifft nach deren Meinung alles bis dahin Gesehene und sensibilisiert gleichzeitig für die spektakulären Aus- und Ansichten amerikanischer, wenn dort auch vergleichsweise geschichtsloser Szenerie. Seine Erfahrungen auf dem Alten Kontinent, die Thomas Cole als "einen der grandiosesten Anblicke, die die Welt zu bieten hat", bezeichnet, finden bei der zweiten Generation der Maler der Hudson River School in der Person von Frederick Edwin Church ihre amerikanische Formulierung im Sujet der "donnernden Wasser", denen unsere Aufmerksamkeit in der nächsten Woche gilt.

Sonntag, März 11, 2007

Neue Welt 2: Wildnis und mehr

Thomas Cole
View in the White Mountains
64,5 x 89,4 cm, Öl auf Leinwand
Wadsworth Atheneum, Hartford Mass.
mit freundlicher Genehmigung des Bucerius Kunst Forum Hamburg

Wie die amerikanischen Ureinwohner - wenn auch nicht in der "wilden" Variante von John Vanderlyn (s. Neue Welt 1) - zum festen Inventar der Historienmalerei gehören, so versteht sich "Wildnis" in der amerikanischen Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts als Symbol der Neuen Welt. Immer aber geht es auch um Besitznahme und Besiedlung der amerikanischen Wildnis, und schon früh wird die damit verbundene Umgestaltung der Landschaft nicht als unbezweifelter Fortschritt gefeiert.

So auch in der frühen (und nur scheinbaren) Idylle View in the White Mountains des erst 26jährigen Thomas Cole, nachdem dieser vier Jahre zuvor beschlossen hatte, Landschaftsbilder nach der Natur zu malen und Künstler zu werden. Seine romantische Vision der amerikanischen Wildnis entstand nach einem Besuch der White Mountains in New Hampshire im August 1827 und ist eine "Komposition", darf also nicht als naturgetreue Wiedergabe der realen Landschaft missverstanden werden. An die Stelle der Ureinwohner ist der weiße Siedler getreten, der im hinteren Vordergrund mit einem Korb in der rechten Hand und einer Axt über der linken Schulter auf der Straße zwischen Crawford und Franconia geht, in der Ferne gefolgt von einer Zweiergruppe. Die Vormittagssonne hat die Wolken stellenweise durchbrochen und beleuchtet sinnfällig die Szenerie: den schneebedeckten Mount Washington im Hintergrund, das tiefe Flusstal des Amonasuc im Mittelgrund und vorn Felsen, Siedler und sturmzerfetzte Baumgruppen vor und hinter ihm. Aber die Wildnis ist nicht nur gezeichnet von den Naturgewalten einer stürmischen Nacht, die gelben Streifen auf den Bergen sind unübersehbare Wunden von Erdrutschen, deren Ursache in Form von Baumstümpfen und den Stämmen gefällter Bäume der Siedler Weg säumen, dessen pfützenübersäte Fahrspuren dezent aber deutlich die menschlichen Eingriffe in die wilde Natur und deren Folgen signalisieren. Die schnelle Besiedlung der Wildnis, in der ein einzelner Mensch klein, von geringer Bedeutung ist, beschädigt eine wunderschöne Landschaft. Das Bild dieser Landschaft tritt an die Stelle der Natur und perfektioniert diese sogar, wie Daniel Wadsworth nach dem Erwerb des Gemäldes am 21. Dezember 1827 an den Künstler schreibt: "Und der Baum im Vordergrund ist ganz so real wie ein Baum in der Natur und sogar realer als jeder Baum draußen."

Thomas Cole ging es in seiner dezenten "Komposition" eher um die für den aufmerksamen Betrachter zweifelsfreie Übermittlung seiner Botschaft als um die wirklichkeitsgetreue Darstellung der Natur: Der Künstler fühlte sich wie Siedler und Goldgräber in der Neuen Welt als Pionier; die gemeinsame Mission bestand darin, die Schätze dieser Neuen Welt zu bergen, die Aufgabe des Künstlers (und Wissenschaftlers) zusätzlich darin, die absehbaren Folgen dieses Tuns zu imagineren. Die amerikanische Landschaftsmalerei thematisiert also weniger die Vergangenheit als – mit den Objekten der Gegenwart – die Zukunft. Das Interesse an der unberührten Natur mündet im 19. Jahrhundert ein in eine Ästhetik der Wildnis, die Größe und Vielfalt der Landschaft und ihrer Natur-Wunder ambivalent als Symbol und Potenzial der unbegrenzten Möglichkeiten des neuen Landes und der neuen Nation, der Neuen Welt, darstellt.

Thomas Coles "höhere Form" der Landschaftsmalerei als Programm einer eigenen nationalen Kunst formuliert "Natur-Nation" als Identitätsstiftung der Vereinigten Staaten von Amerika. Wildnis in dieser amerikanischen Landschaftsmalerei ist Natur, hochgradig aufgeladen mit religiösen und politischen Inhalten, ist Gottesgeschenk, Manifestation göttlichen Wirkens und Verheißung irdischen Wohlstands, ist Garten Eden für ein ausgewähltes Volk. Diese Ideologie der Wildnis blendet ihre eigene Verdrängung durch Kultivierung und technischen Fortschritt in der Malerei nicht aus, ist sie doch – zumindest in der Kunst – eine nachwachsende Ressource für Nature's Nation.

Thomas Cole
Landscape Composition. St. John in the Wilderness
91,4 x 73,5 cm, Öl auf Leinwand
Wadsworth Atheneum, Hartford Mass.
mit freundlicher Genehmigung des Bucerius Kunst Forum Hamburg

Wenige Monate vor View in the White Mountains hatte Thomas Cole Landscape Composition. St. John in the Wilderness vollendet. Beide Gemälde haben als Quer- und Hochformat vergleichbare Ausmaße. Die "Komposition" der Landschaft verbindet amerikanische Wildnis mit biblischer Topografie und hebt das Landschaftsbild in die Sphäre der Historienmalerei. Die Gegenwart Biblischer Geschichte, hier die Predigt des Johannes in der Wüste von Judäa (Matt. 3,1-3), kanonisiert die atemberaubende Szenerie aus großen Felsformationen im Bildvordergrund, einem zentralen Bergmassiv mit gewaltigen Felsgipfeln und Wasserfall, sowie dramatischen Nebelschwaden und Wolken, die trotz solitärer Palme am linken Bildrand aus einer Sammlung von Versatzstücken amerikanischer Wildnis stammen. Johannes der Täufer neben dem Holzkreuz, die bunte Schar seiner gestikulierenden Gefolgschaft und auch die beiden Figuren mit Pferd tief unten im beleuchteten Tal assoziieren göttliche Präsenz in wunderhafter Natur und entfalten ein imposantes Panorama zerklüfteter Szenarien des Erhabenen mit begeisternden Farb- und Helligkeitseffekten.

Dies sind Dimensionen der amerikanischen Landschaftsmalerei, die sich zügig zum Selbstbild einer neuen Kultur-Nation entwickeln: Schon früh stellen Thomas Coles Landschaften auch nationale Ereignisse und Motive aus der indigenen amerikanischen Literatur dar; Bibel und Religion waren in der amerikanischen Zivilisation ohnehin omnipräsent. So ist es nur folgerichtig, wenn die amerikanische Wildnis in der Landschaftsmalerei Coles und der Hudson River School im Sinne des amerikanischen Gründungsmythos gedeutet wird: Amerika als Gottes Land und Erneuerung seines Bundes mit den Menschen erhält seinen malerischen Ausdruck von der Wildnis als landscape of belief, die den göttlichen Auftrag visualisiert, das Land zu erschließen, um die Ideale der Zivilisation und Demokratie zu verbreiten.

Die Erhebung der Wildnis zum zentralen Thema in Thomas Coles frühen Landschaften bedeutet einen bewussten Bruch mit den Konventionen der europäischen Landschaftsmalerei. Nach Rückkehr von seiner ersten Europareise (1829-32) setzte Cole sich das Ziel, (seine) Landschaftsmalerei auf die Höhe der Historienmalerei zu heben. Als wichtigster Maler der ersten Generation der Hudson River School macht Cole so die Landschaftsmalerei zum Medium amerikanischer Selbstdefinition: Er katapultiert den Betrachter seiner Bilder unmittelbar in die amerikanische Wildnis und vermittelt so eindringlich in einem allerdings bei ihm nur individuell geprägten Landschaftserlebnis authentisch wirkende Erfahrungen von Bewunderung und Schrecken in den ästhetischen Kategorien des Pittoresken, Schönen und Erhabenen, die auch zentrale Kennzeichen der amerikanischen Nation sind. Seine imaginären Komposit-Landschaften und die der Hudson River School erschaffen mit der tatkräftigen Unterstützung amerikanischer Schriftsteller, Wissenschaftler und betuchter Mäzene trotz des Fehlens einer eigenständigen amerikanischen Kultur-Tradition einen neuen, nun auch kulturellen Nationalismus.

Samstag, März 03, 2007

Neue Welt 1

John Vanderlyn
The Murder of Jane McCrea, 1804
82,6 x 67,3 cm, Öl auf Leinwand
Wadsworth Atheneum, Hartford Mass.
mit freundlicher Genehmigung des Bucerius Kunst Forum Hamburg

Eine blonde, weiße Jungfrau, lieblich und amerikanisch, ist mit dem Ausdruck entsetzter Angst um das eigene Leben auf das linke Knie gesunken, nachdem zwei schwarzhaarig dunkelhäutige, furchterregend und hasserfüllt ausschauende Wilde, indianische Schurken, sie an beiden Händen ergriffen haben und mit ihren primitiven aber effizienten Waffen tödlich bedrohen. Die Unterschiede der Personen spiegeln sich in ihrer Kleidung als Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen und Wertesysteme. Dies alles geschieht als gut ausgeleuchtete Inszenierung vor dem abgedunkelten Hintergrund einer romantisch-bukolischen Landschaft, die das perfekte Bühnenbild für einen historisch verbürgten Meuchelmord abgibt: "Une jeune femme massacrée par deux sauvages au service des Anglais dans la guerre d'Amérique", so der ursprüngliche Salontitel des ersten Bildes der Ausstellung Neue Welt: Die Erfindung der amerikanischen Malerei, die derzeit im Bucerius Kunst Forum in Hamburg gezeigt wird. "The Murder of Jane McCrea", eben jene ermordete junge Frau, war 1804 in Paris entstanden und im gleichen Jahr erstmals im dortigen Salon ausgestellt worden.

Auch wenn die genauen Umstände der Tat bis heute ungeklärt sind, fand der Vorfall in Amerika wie Europa viele Jahre lang die Aufmerksamkeit weiter Kreise und verschiedener Künste: Am 27. Juli 1777 war Jane McCrea aus New Jersey auf dem Weg zu ihrem Verlobten David Jones nach New York, der als Offizier in der britischen Armee des General John Burgoyne diente. Und jener Verlobte ist es auch, der in seiner blauen Uniform auf der erhellten Waldlichtung im Hintergrund des Bildes seiner Geliebten zur Hilfe eilt – allein, zu spät, denn jene beiden primitiven Indianer werden im Auftrag der britischen Noch-Okkupanten (und fast genau ein Jahr nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung der ehemals britischen und nun amerikanischen Siedler) in wenigen Sekunden ihr Meuchelwerk vollendet haben. Diese amerikanischen Ureinwohner zumindest sind nicht Vertreter jener edlen Wilden, die schon den in der Ausstellung vorgestellten amerikanischen Malern als Wächter eines verloren gegangenen Paradieses galten.

John Vanderlyn, der Maler dieses ältesten Bildes in der Hamburger Ausstellung, konnte bei der Komposition seines Bildes auf die Tradition bühnenhafter Inszenierungen des Themas von den Skulpturen der klassischen Antike bis zum zeitgenössischen französischen Neoklassizismus zurückgreifen, den er in Paris in den Arbeiten Jacques-Louis Davids schätzen gelernt hatte. Obwohl 1775 in Kingston (New York) geboren, wo er auch 1852 starb, erhielt er seine prägende künstlerische Ausbildung zwischen 1796 und 1801 in Paris bei dem Historienmaler Francois-André Vincent, wo er seine Begeisterung für das Thema entdeckte und seine Ambitionen als Historienmaler entstanden. Dort lebte er auch hauptsächlich von 1803 bis 1815, unterbrochen durch längere Kunstreisen in England, der Schweiz und Italien. Bei dem kurzen Amerikaaufenthalt 1801-03 zwischen Ausbildung und Schaffen in Europa lernte er den amerikanischen Dichter Joel Barlow (1754-1812) kennen, der die Ermordung Jane McCreas bereits vor Ende des 19. Jahrhunderts in seinem Versepos The Columbiad bearbeitet hatte, aber erst 1807 veröffentlichen konnte. Für diese Ausgabe sollte Robert Fulton (1765-1815) elf Episoden illustrieren, darunter auch die propagandistische Ausschlachtung des Vorfalls von 1777, den Barlow als symptomatisches Beispiel für die britischen Gräueltaten an ihren weißen amerikanischen Gegnern bearbeitet hatte.

Statt Fulton nahm sich John Vanderlyn in Öl auf Leinwand dieses Themas im Sujet eines neoklassischen Tableaus an und verband so seine Ambitionen zur Historienmalerei – und dabei ging es ihm um die Geschichte Amerikas – mit der in den USA angesehensten Kunstgattung der damaligen Zeit, der Landschaftsmalerei. Sie galt als wichtigstes Zeugnis nationaler Identität und der biblischen Vorstellung von Amerika als dem Land der göttlichen Verheißung. Natur, Wildnis, Weite – das unterschied Amerika von Europa. All diese Landschaften waren neu für die Kunst. Mit ihnen ließ sich dem Glauben Ausdruck verleihen, dass Gott einen neuen Bund geschlossen habe, indem er die Neue Welt einer jungen Nation von Einwanderern anvertraut hatte. Der amerikanische Glaube an eine besondere zivilisationsgeschichtliche Rolle und Mission Amerikas ist bereits in diesen frühen Äußerungen der amerikanischen Kunst zu finden und wird bis ins 20. Jahrhundert hinein Selbstverständnis und Formwille amerikanischer Künstler bestimmen.

Donnerstag, März 01, 2007

... ein Jahr später ...